Unser ET 57 spielt in der Geschichte des öffentlichen Personennahverkehrs in der Region Köln-Bonn eine ganz besondere Rolle: Er ist der letzte Vertreter einer ganzen Reihe von Fahrzeugen, die speziell für den Personenverkehr der ehemaligen Köln-Bonner Eisenbahnen AG entwickelt wurden. Die Entwicklungsgeschichte dieser elektrischen Triebwagen soll hier kurz skizziert werden.
Der erste Fahrzeugpark der Rheinuferbahn bestand aus einzelnen vierachsigen Trieb- und Beiwagen. Die formschönen Fahrzeuge aus dem Hause Van der Zypen & Charlier besaßen einen blechverkleideten Holzaufbau mit jeweils einem doppeltürigen Mitteleinstieg auf jeder Seite. Durch die elektromagnetische Schützensteuerung der Siemens-Schuckertwerke konnten alle Triebwagen eines Zugverbandes von einem Fahrerstand aus gesteuert werden. Die einzelnen Fahrstufen wurden von Hand geschaltet, gebremst wurde ausschließlich mit der einlösigen Druckluftbremse der Bauart Westinghouse. Die Züge wurden beinahe beliebig zusammengestellt, es musste jedoch immer ein Triebwagen an der Zugspitze fahren. Um diesen Nachteil zu beheben, gingen die KBE ab den Zwanziger Jahren dazu über, einige Triebwagen starr mit je einem Beiwagen zu kuppeln. Durch die in die Beiwagen eingebauten Fahrerstände konnte von nun an auch ohne Umsetzen an den Endhaltestellen in beide Richtungen gefahren werden.
Im Jahre 1930 bestellten die KBE erstmals schwere genietete Stahltriebwagen, die von vorneherein fest mit einem Steuerwagen gekuppelt waren. Die von Linke-Hofmann-Busch noch kurz vor der Schließung des Ehrenfelder Werks gelieferten Fahrzeuge boten einen größeren Komfort für die Fahrgäste und erhöhten die Reisegeschwindigkeit durch eine höhere installierte Antriebsleistung. Wegen Ihrer soliden Bauweise wurden sie im Kölschen „Bemmesse“ = schwere Brocken genannt.
ca. 1930 - Tw 11 mit Sw 20 (später ET 31) im Bahnhof Bornheim - Foto: C. Scholz / Slg. Edmund Höck
Sechs Jahre später entstanden bei Westwaggon in Köln-Deutz zwei völlig neue Doppeltriebwagen, die als Erprobungsträger für die zukünftigen Fahrzeuge der KBE gedacht waren. Durch die Einführung der Schweißtechnik konnte das Gewicht gegenüber den Vorgängerfahrzeugen deutlich reduziert werden. Motoren und Antriebsausrüstung wurden gleichmäßig auf beide Wagen verteilt, wodurch die Fahrzeuge betrieblich nicht mehr trennbar waren. Druckluftbetriebene Doppelschiebetüren mit denen für die KBE so charakteristischen Klapptrittstufen sorgten für ein bequemes Einsteigen, durch den Faltenbalgübergang wurde nur noch ein Schaffner pro Doppeltriebwagen benötigt, was beträchtliche Personalersparnisse versprach.
Mai 1936 - Werkfoto Westwaggon
Weil sich das Grundkonzept bewährte, wurden 1940 drei weitere Doppeltriebwagen von Westwaggon geliefert, die in ihren Abmessungen und Aussehen bereits allen weiteren Fahrzeugen, also auch dem ET 57 ungefähr entsprachen. Mit ihnen wurde die Grundbauform für alle weiteren 18 bis 1956 beschafften Triebwagen festgelegt. Erstmals wurden die vollgeschweißten Triebzüge in Stahlleichtbauweise gefertigt. Sie besaßen im E-Teil letztmalig die herkömmliche Schützensteuerung. Die 1950 folgende Lieferung von 6 Doppeltriebwagen besaß bereits eine halbautomatische Schaltwerkssteuerung, auf die die nach dem Krieg erhalten gebliebenen späteren ET 41 und 42 später umgebaut wurden.
1. Juni 1940 - Tw 38/39 (später ET 42) im Bahnhof Wesseling - Foto: Werkfoto KHD
Die weiteren Lieferungen von 1951 (4 Trieb- und 4 Steuerwagen), 1953 (4 Steuerwagen), 1954 (3 Triebwagen) und 1956 (5 Trieb- und 4 Steuerwagen) wurden jeweils mit den gewonnenen Erfahrungen der technischen Entwicklung angepasst, blieben aber in ihren Grundabmessungen unverändert. Einige von ihnen besaßen Packabteile zum Transport von Post und Gepäck.
20. April 1957 - ET 59 mit Steuerwagen im Bahnhof Wesseling - Foto: Hans Mirgeler / Slg. Hans-Peter Arenz
Nach Ablieferung der letzten Bauserie von 1956, der auch der ET 57 entstammt, begannen die KBE mit der Entwicklung eines völlig neuen Schnelltriebwagens aus Aluminium. Die "Silberpfeile" waren geboren. Es würde den Rahmen dieser Site sprengen, wollte man auf alle Vorzüge des im Jahre 1960 unter dem Motto "leichter-schneller-bequemer" in Dienst gestellten Prototyps ET 201 eingehen, der eine weltweite Beachtung erfuhr. Im Gegensatz zu den sechs im Jahr 1964 gebauten Serienfahrzeugen, von denen die letzten 1994 in Österreich verschrottet wurden, befindet sich der ET 201 heute im Besitz der Köln-Bonner Eisenbahn-Freunde.
1. Vierteljahr 1965 - ET 204 in Wesseling - Foto: Werkfoto AEG / Slg. Hans-Peter Arenz
Die zwischen 1936 und 1956 gebauten Doppeltriebwagen aus Stahl jedoch bildeten seit dem letzten Krieg das Rückgrad des Personenverkehrs der KBE. Wer kennt sie nicht, die gemütlichen rot/elfenbein-farbenen Triebwagen, die noch bis Mitte der achtziger Jahre zwischen den Städten Köln und Bonn umherschaukelten? Die Fahrzeuge waren robust, zuverlässig und bei den Fahrgästen recht beliebt, garantierten sie doch große Pünktlichkeit und bequemes Reisen. Einige von ihnen standen mehr als fünfzig Jahre lang im Einsatz. Von den 23 gebauten Doppeltriebwagen existiert heute nur noch der ET 57. Drei davon, die ET 55, 59 und 60, fuhren bis 2006 noch in Österreich bei der Linzer Lokalbahn. Dort blieb der Wagenkasten des ET55b, ohne Drehgestelle, in Privatbesitz erhalten.
Der ET 57 ist jetzt der endgültig letzte Vertreter dieser für den Köln-Bonner Raum so typischen Fahrzeuge, mit denen Millionen von Menschen zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen, zu Bekannten oder einfach nur so zum Ausflug ins Vorgebirge gefahren sind. Er glücklicherweise noch nahezu im Originalzustand von 1956 erhalten geblieben. Seine besondere Konstruktion ist ebenfalls auf unserer Website beschrieben.